SPD 2017 oder: Wie man einen Wahlkampf versemmelt

Morgen ist der 24. September 2017. Auf diesen Tag wartet die deutsche Politik seit mindestens zwei Jahren. Denn morgen wird der neue Bundestag gewählt. Es geht um die Macht, es geht um Posten, es geht um Millionen von Euros. Alle relevanten Parteien haben sich wirklich ins Zeug gelegt.

 

CDU, CSU, Grüne, Linke, FDP und AfD haben gekämpft

 

Die CDU mit Angela Merkel hat einen schönen #fedidwgugl – Wahlkampf gemacht. Dieser Hashtag sollte eine gewisse Modernität vermitteln. Immerhin hat die Union damit signalisiert, dass sie das Internet schon entdeckt hat. Merkel selbst hat sich an genau die Orte getraut, wo man sie so hasst. Sie war im Osten, in Quedlinburg, in Görlitz. Sie ließ sich ausbuhen und niederschreien und hat mit hartem Blick, aber seelenruhig ihre Dinge gesagt. Die CSU, die in Bayern seit über 60 Jahren regiert, hat einen sehr professionellen Wahlkampf gemacht. Sehr gute Videos auf Twitter veröffentlicht. Nicht zu viel versprochen, aber den Wählern ein Gefühl von Sicherheit und Stärke und Kompetenz vermittelt. Die FDP unter Lindner hat sich wahnsinnig engagiert. Sie haben die sehr gute Werbeagentur Heimat aus Berlin engagiert. Von Heimat stammt der super Hornbach Spot. Für die FDP hatte Heimat einen Spot gemacht – den “längsten Wahlspot aller Zeiten”, in dem in 90 Minuten (!) das komplette Wahlprogramm der FDP zu einem Technobeat sauschnell als Text zu lesen ist. Natürlich liest das niemand. Aber es schafft Aufmerksamkeit. Es wirkt neu, und es passt damit gut zu dem FDP-Slogan “Denken wir neu”. Das ist eben die Kunst, die eine gute Werbeagentur beherrscht. Natürlich kommt die FDP so wieder rein. Auch die Grünen und die Linken haben sich engagiert, nach ihren Mitteln. Wobei die Linken mit Wagenknecht und Gysi wirklich kluge Leute an der Spitze haben. Wagenknecht sieht wunderschön aus. Und sie sagt eben die Sachen, die sie immer sagt. Die Linke haut auf alle ein. Da wird niemand verschont. Nicht die SPD, nicht die Grünen. Die Linke kämpft um jede Stimme. Aber sie hat natürlich nicht das Geld für eine wirklich gute PR-Agentur. Bei den Grünen sind Göring-Eckhard und Özdemir ein bisschen zu naiv, um wirklich gut zu sein. Die Grünen haben den Hashtag #darumGruen auf Twitter überstrapaziert. Es kamen so naive Tweets wie: Umwelt und Zukunft gibt es nur mit den Grünen – was offensichtlicher Quatsch ist. Oder es wurde impliziert, dass die Kinderarmut in Deutschland sofort weg ist, wenn man am Sonntag sein Kreuz bei den Grünen macht. Das ist naiv und schwach. Die Grünen hätten sich frischer machen müssen. Ihr Wahlkampf war halbe Kraft. Die AfD dagegen hat voll und ganz angegriffen. Sie hat ihre Trolls im Netz und auf den Straßen. Überall auf Twitter griffen AfD Leute die Tweets der Etablierten an. Auf allen Marktplätzen, wo Merkel oder Schulz auftraten, hatte die AfD ihr Team aus Brüllern und Störern hingeschickt. Das ist nicht fair, aber es passt zum rechtsextremen Programm dieser Partei. Alice Weidel machte in den Talkshows einen frischen Eindruck. Sie ist intelligent, hübsch und lesbisch. Das beruhigt vielleicht einige Leute, aber es ist kein Grund zur Beruhigung. Einige Wochen vor der Wahl hat sie die E-Mail-Affäre wohl selbst inszeniert, um für den harten rechten Flügel der AfD auch wählbar und nicht zu lasch zu sein. Gauland hat massiv provoziert. Danach wieder zurück gerudert. Leicht verstaubt, aber typisch für den Cord-Menschen. Für die jungen Wähler hat die AfD Comicfiguren im Netz eingesetzt, die nach der Manga-Methode sympathisch aussehen sollen. Es kann leicht sein, dass die AfD dritte Kraft wird. Bemüht hat sie sich auf jeden Fall sehr stark. Alle haben sich also angestrengt, bis auf eine Partei: die SPD.

 

Die SPD hat nicht gekämpft

 

Die SPD hat mit Martin Schulz einen Kanzlerkandidaten aufgestellt, der bei den Leuten anfangs sehr gut ankam. Auf seinem Twitter-Profil bezeichnet er sich als “glühenden Sozialdemokraten”. Das ist nicht schlecht. Die Leute dachten, Schulz macht die SPD wieder zu einer linken Partei für die Arbeitnehmer. Aber dieser Eindruck ist dann relativ schnell verflogen. Denn sein Wahlprogramm war dermaßen großkoalitionär, dass die Union unter Merkel sämtliche Programmpunkte der aktuellen SPD mittragen kann und wohl auch wird. Die SPD unter Schulz zielt ganz klar auf eine Fortsetzung der Großen Koalition. Und so etwas hassen die Wähler. Der Wahlkampf selbst war auch sehr mäßig. Man hat Schulz nur eine einzige Rede ausgearbeitet. Diese Rede hielt er auf allen Auftritten meist wortgleich. Er sagte vor drei Wochen am Gillamoos genau dasselbe wie bei der Abschlusskundgebung am Berliner Gendarmenmarkt gestern. Es sind immer dieselben Sprüche: Die AfD ist eine Schande für Deutschland; Merkel will Deutschland verwalten, Schulz will die Zukunft gestalten; die SPD ist seit 154 Jahren das Bollwerk der Demokratie; Herr Trump, Ihre Politik wird nie unsere Politik sein. Man kann die Rede auswendig, wenn man sie zwei, dreimal gehört hat. Und das Schlimme ist: Die politisch Interessierten haben diese Rede zwei, drei, vier, fünfmal gehört. Denn, liebe SPD: Wir leben nicht mehr im Mittelalter, wo der Herold von Markt zu Markt zieht und den Menschen die Frohe Botschaft verkündet. Nein, wir leben im TV- und Internet-Zeitalter. Jeder Bürger hat die Schulz-Rede schon zehnmal gehört, wenn er auf seinem Marktplatz vorbeischaut. Auf Twitter hat der SPD-Parteivorstand bei jeder Schulz-Rede die wichtigsten Argumente getwittert. Das sieht im Ergebnis so aus, dass @SPDde jeden einzelnen Tag des Wahlkampfs immer wieder dieselben Sprüche getwittert hat. Das kann jeder im Netz auf Twitter nachlesen. Da war nichts Neues. Immer dieselben Sprüche. Dass die AfD eine Schande für Deutschland ist, hat @SPDde mindestens 30 Mal getwittert. Diesen Fehler nennt man den Redundanz-Fehler. Und der Redundanz-Fehler sorgt dafür, dass Schulz absolut keine Chance hat, diese Wahl zu gewinnen. Hätte die SPD eine gute Werbeagentur engagiert, wäre ihr das so sicher nicht passiert. Der Wahlkampf, den sie gemacht hat, wirkt, als wäre er von Juso-Abiturienten aus Herne oder Bottrop ehrenamtlich selbst inszeniert worden. Hier ist nichts professionell. Es wurde Bilder getwittert, die schlecht beleuchtet und oft peinlich waren. Die Hashtags #esistzeit #martinmachts #schulzjetzt oder #zeitfürgerechtigkeit sind schon vom Klang her billig und mies. Der ganze Wahlkampf war einer millionenschweren Partei absolut nicht würdig. Hier wurde total schlampig und nachlässig gearbeitet. Aber warum? Ist die SPD wirklich so dumm oder stellt sie sich nur so?

 

War die nächste Große Koalition schon vorher abgemacht?

 

Die Frage ist, ob die SPD überhaupt die Absicht hatte, diese Wahl zu gewinnen. Hinter der SPD stehen mächtige reiche Player wie die Gewerkschaften oder die Sozialverbände. Geld wäre genug da, um eine gute Werbeagentur zu beschäftigen. Aber ich denke, der Wille zur Macht ist bei der SPD nicht vorhanden. Sie rechnet auf ihre 20 Prozent der Wählerschaft, die ihr immer treu bleiben. Sie rechnet damit, auf jeden Fall zweitstärkste Kraft zu bleiben und damit ganz klar groß genug für eine neue Große Koalition zu sein. Vielleicht war das auch im Vorfeld mit Merkel schon abgesprochen. Ich gehe jede Wette darauf ein, dass die nächste Regierung wieder eine Große Koalition sein wird. Die SPD hatte bei der letzten Wahl die Chance auf Rot-Rot-Grün und hat es nicht gemacht. Bei dieser Wahl gibt es wohl keine R2G Mehrheit. Schwarz-gelb ist auch nicht groß genug. Und Jamaika haben Grüne und FDP praktisch schon ausgeschlossen. Ich denke, die Überraschung dieser Bundestagswahl wird die AfD. Ich schätze sie auf etwa 15 Prozent. Die Linken sehe ich bei 11 Prozent. Die SPD knapp unter 20. Grüne und FDP etwa 8 Prozent, wobei die FDP stärker sein wird. Der Rest geht an die Union und die Sonstigen, die diesmal auch stärker sein werden als bei der letzten Wahl.

 

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